Als Gottheit verehrt, als Uhr genutzt oder als Energiequelle geschätzt: Die Sonne hat im Laufe der Menschheitsgeschichte schon viele Rollen gehabt. Einen Überblick über die Entwicklung der menschlichen Beziehung zu dem Himmelskörper bietet die Sonderausstellung „Die Sonne – Der Mensch und das Licht“ in der experimenta. Die Ausstellung stammt aus dem renommierten London Science Museum. Kurator und Physiker Dr. Harry Cliff spricht im Interview über die Bedeutung der Sonne, Sonnenstürme und die aktuelle Solarforschung.
Herr Cliff, warum eine Ausstellung über die Sonne?
Wir glauben, wir kennen die Sonne, sie scheint uns vertraut zu sein. Aber wie viele von uns denken wirklich über die Sonne nach? Deswegen möchten wir mit der Ausstellung daran erinnern, auf welche vielfache Weise uns die Sonne betrifft und daran, was wir aufgrund des technologischen Fortschritts vielleicht vergessen haben. Denn Technologie hat uns von der Sonne entfernt: Wir haben keine so enge Beziehung mehr zu ihr wie noch unsere Vorfahren. Während der präindustriellen Zeit waren es die Menschen gewohnt, auf dem Feld zu arbeiten und sie wussten ziemlich genau, wo gerade die Sonne steht, welche Tageszeit ist, wann die Sonne auf- und untergeht. Erfindung wie die Uhr, künstliches Licht sowie die Urbanisierung haben uns von diesem Wissen entfernt. Oder können Sie gerade sagen, wo die Sonne steht?
Ähm, nein.
Ich auch nicht. In der modernen Welt hat die Sonne zwar an Bedeutung gewonnen, aber auf unerwartete Weise. Wir sind mit der Klimakrise konfrontiert, wir stellen deshalb unsere fossile Energieversorgung um, und Solarenergie muss hierbei ein wichtiger Teil sein. Wir gehen mit der Sonne also eine neue Allianz ein. Gleichzeitig sind wir ihr wie nie zuvor ausgeliefert: Unsere Gesellschaft basiert auf globalen Systemen für Kommunikation und Elektrizität, die durch Sonnenstürme potenziell gefährdet sind. Auch wenn wir seit Mitte des 19. Jahrhunderts keinen wirklich großen Sonnensturm mehr hatten.
Was passiert bei einem Sonnensturm?
Die Oberfläche der Sonne ist sehr dynamisch und übersät von dunklen Stellen. Aus diesen kommen große Magnetfelder, die gigantische Mengen an Energie enthalten. Die Magnetfelder ordnen sich immer wieder neu an: Wir sehen dann glühende Linien, die abreißen und sich neu anordnen. Das kann riesige Energiemengen freisetzen, die in den Weltraum geschleudert werden. Dabei handelt sich im Wesentlichen um eine Wolke aus geladenen Teilchen, die auch in Richtung Erde reisen können. Wenn sie die Erdatmosphäre erreichen, können wir Polarlichter sehen. Aber es gibt auch starke elektromagnetische Felder, die Satelliten beschädigen oder gar zerstören können – oder Stromnetze auf der Erde. Deswegen geht es bei der Sonnenforschung heutzutage auch darum, besser vorherzusagen, wann ein Sonnensturm auftreten könnte, damit wir gewarnt sind. Dann können wir präventive Maßnahmen ergreifen und beispielsweise Flugzeuge landen lassen.
Welche Auswirkungen hätte heute ein so großer Sonnensturm wie es ihn im 19. Jahrhundert gab?
Wenn so etwas noch mal passiert – und das wird es irgendwann – könnte das verheerend sein. Die Energieversorgung könnte in einer größeren Region komplett ausfallen und es würde vielleicht Wochen oder Monate dauern, sie wieder komplett herzustellen. Auf der einen Seite sind wir zwar durch Technologie weniger auf die Sonne angewiesen als zuvor, auf der anderen Seite sind wir abhängiger von ihr geworden – nur in anderer Hinsicht. Und das ist spannend: Die Beziehung zwischen den Menschen und der Sonne ist nicht statisch und verändert sich auch weiterhin.
Wie weit ist die Forschung, wenn es darum geht Sonnenstürme vorherzusagen?
Einige Länder unterhalten Zentren zur Vorhersage von Weltraumwetter. Es gibt Forschende, die die Sonne permanent beobachten und nach Sonnenflecken Ausschau halten, wo die Sonnenstürme entstehen. Sie prüfen: Sehen die Sonnenflecken auffällig groß aus oder ungewöhnlich? Wo sind sie auf der Sonne und wohin bewegen sie sich? Denn es gibt besondere Gefahrenzonen auf der Sonne – wenn dort ein Sonnensturm entsteht, dann trifft er die Erde.
Generell gilt bei der Sonnenforschung: Wir lernen ständig dazu, aber es gibt noch viel zu entdecken. In den vergangenen Jahren haben die Weltraumorganisationen ESA und NASA Solarmissionen gestartet. 2020 wurde die Sonde Solar Orbiter in den Weltraum geschossen, die sehr nah an die Sonne herankommt, um Fotos und magnetische sowie andere Messungen zu machen. Die Sonde Parker Solar Probe der NASA ist das erste künstliche Flugobjekt, das die Sonnenatmosphäre durchquert hat. Diese Missionen werden unser Wissen über die Sonne, ihre Dynamik, ihre Atmosphäre vergrößern und das trägt dazu bei, das Weltraumwetter künftig besser zu verstehen.
Warum lohnt sich ein Besuch der Ausstellung?
Es gibt eine große Bandbreite an Themen. Wer an Astronomie interessiert ist, findet wunderschöne Sonnenbilder – von alten Aufnahmen aus dem 17. Jahrhundert bis hin zu aktuellen. Es gibt Mitmachstationen: Zum Beispiel kann man das Weltraumwetter vorhersagen und herausfinden, ob der Erde Gefahr durch einen großen Sonnensturm droht. Ganz am Ende der Ausstellung ist eines meiner Lieblingsexponate: Hochauflösende Filmaufnahmen der Sonne, bei denen man die Dynamik auf der Oberfläche gut erkennen kann. Das ist sehr eindrucksvoll und fesselnd. Außerdem gibt es viele faszinierende historische Objekte zu sehen, darunter ein Sonnenbett aus dem 19. Jahrhundert, das genutzt wurde, um Menschen mit Tuberkulose mit Sonnenlicht zu behandeln. In einem anderen Bereich ist ein Solarpanel ausgestellt, das Präsident Jimmy Carter während der Ölkrise 1979 auf dem Weißen Haus installieren ließ: als Botschaft zum Umdenken.
Sie haben sich ausgiebig mit der Sonne beschäftigt. Was macht ihre Faszination aus?
Es ist faszinierend, wie sehr sie unseren Alltag beeinflusst. Ohne Sonne gäbe es kein Leben auf der Erde. Wenn Sie 150 Jahre zurückgehen und die Leute fragen würden, aus was die Sonne gemacht ist – Sie hätten keine guten Antworten bekommen. Wir haben seitdem einen riesigen Wissenszuwachs gehabt. Wir wissen, dass ihre Energie von einer Kernfusion im Inneren kommt; wir wissen um ihre Dynamik und wie sie uns und auch das Sonnensystem beeinflusst. Wir leben auf diesem kleinen Planeten und sind auf dieses gigantische Objekt weit weg am Himmel angewiesen. So betrachtet ist das einerseits wahnsinnig toll, andererseits aber auch ein bisschen unheimlich. Und ich glaube, das verdeutlicht die Ausstellung. Die Sonne ist Lebensspenderin und gefährlich zugleich.
Text- und Bildquelle: experimenta gGmbH